Franz Spirago: Katholischer Volks-Katechismus

5) Die Privatoffenbarung

Ähnlich wie Gott seinerzeit zu Moses im brennenden Dornbusch (2 Mos. 3) oder zum Christenverfolger Saulus vor Damaskus (Ap. 9) sprach, spricht auch Gott noch heute in außergewöhnlicher Weise zu manchen Menschen und macht ihnen verschiedene Mitteilungen. Da derartige Offenbarungen nicht mehr für die ganze Menschheit bestimmt sind, so heißen sie Privat-Offenbarungen. Solche wurden jüngst in reichlichstem Maße zuteil der seligen Maria Taigi zu Rom († 1837), vor der 47 Jahre hindurch bei Tag und Nacht eine Sonnenscheibe schwebte, in der Bilder und Zeichen zur Belehrung und Beantwortung ihrer Fragen erschienen. Die Nonne Katharina Emmerich zu Dülmen in Westfalen († 1824) sah von Jugend an das Leben Christi, Mariens, der Heiligen und Ereignisse der Weltgeschichte wie eine Zuschauerin.

1) Privatoffenbarungen geschehen, um den Glauben zu heben; auch werden sie oft jenen Menschen zuteil, die sehr nach Vollkommenheit streben.

Privatoffenbarungen geschehen zum Nutzen der Kirche (Sieh 1 Kor. 12, 7). Es verhält sich so, wie mit den wunderbaren Gnadengaben, die in der apostolischen Zeit ungemein häufig waren; damals erhielten die Gläubigen oft beim Empfange der hl. Sakramente die Gabe der Weissagung, der Sprachen usw. (siehe 1 Kor. 12, 9 ff.). Dies geschah, damit sich die junge Kirche schneller ausbreite. Später wurden diese Gaben seltener, ohne jedoch ganz aufzuhören. Jüngst führten Privatoffenbarungen zur Entstehung der Wallfahrtsorte Lourdes und La Salette in Frankreich. Wenn der Glaube in Gefahr ist, pflegt Gott durch Privatoffenbarungen einzugreifen. Als zur Zeit der Französischen Revolution die Rationalisten und ungläubigen Philosophen die Wahrheit der hl. Evangelien und sogar die historische Person Christi bestritten, schenkte Gott der schlichten Bauerntochter Katharina Emmerich die Gabe der Vision und schmückte ihren Leib mit den fünf Wundmalen Christi und den Wunden der Dornenkrone; ihre Visionen über das Leben und Leiden Christi, veröffentlicht von dem einst ungläubigen Dichter Klemens Brentano, haben in der Welt viel zur Hebung des Glaubens beigetragen. – Wie die Seligsprechungsprozesse beweisen, haben Privatoffenbarungen gewöhnlich auch Menschen, die sehr nach Vollkommenheit streben. Dem hl. Franz von Assisi erschien Christus in der Kirche (beachte die Entstehung des Portiunkula-Ablasses, 1221); auch ein Engel erschien ihm auf dem Berge Alverno (1224, daher das Fest der Wundmale des hl. Franziskus). Ähnliche Fälle kommen auch im Leben anderer Heiligen vor. Derartige Privatoffenbarungen sind Geschenke Gottes, die hauptsächlich den Zweck haben, dem nach Vollkommenheit strebenden Menschen die Anhänglichkeit an diese Welt zu nehmen und ihn zu höherer Vollkommenheit zu führen (Scaramelli). Doch besteht die Heiligkeit keineswegs in Offenbarungen und Tröstungen, sondern in heroischen Tugenden und Geduld im Leiden. Es kann sogar vorkommen, daß gottlosen Menschen Offenbarungen zuteil werden; man beachte den Vorfall von der schreibenden Hand an der Wand in Gegenwart des Königs Baltassar (Dan. 5) und die Prophezeiung des lasterhaften Balaam: »Ein Stern geht auf aus Jakob (…)« (4 Mos. 23, 24). In der Regel aber werden Privat-Offenbarungen nur tugendhaften Personen zuteil; denn sie sind immerhin eine außerordentliche Gunstbezeugung Gottes; auch sind nur tugendhafte Personen glaubwürdige Zeugen, wenn es sich darum handelt, die Offenbarung anderen mitzuteilen.

2) Die Päpste haben manche Privatoffenbarungen gutgeheißen (approbiert) und aufgrund von Privatoffenbarungen Feiertage und kirchliche Andachten eingeführt und Ordensgemeinschaften errichtet.

Die Offenbarungen der hl. Brigitta († 1373) wurden von vier Päpsten und vom Konzil von Basel (1435) gutgeheißen, ebenso die der hl. Abtissin Hildegard († 1178) von Papst Eugen III. Auch die Offenbarungen der hl. Katharina von Siena († 1380) und der hl. Theresia († 1582) sind kirchlich approbiert. Von einer sehr großen Anzahl von Bischöfen sind empfohlen worden die Visionen der spanischen Jungfrau Maria von Agreda († 1665), niedergeschrieben in der Schrift Stadt Gottes, und die Visionen der ehrw. Nonne Katharina Emmerich über das Leben und Leiden Christi und das Leben der Mutter Gottes. Durch die kirchliche Approbation wird aber nur erklärt, daß sich in jenen Offenbarungen nichts vorfindet, was der christlichen Glaubens- oder Sittenlehre widerspricht, und daß diese Offenbarungen von den Gläubigen mit Nutzen gelesen werden können. Aufgrund von Privatoffenbarungen wurde (1246 u. 1264) das Fronleichnamsfest eingeführt, auch die Herz-Jesu-Verehrung und 1899 die Weihe an das Herz Jesu. – Die Lebensgeschichte des hl. Franz von Assisi, hl. Dominikus, hl. Johannes von Matha, hl. Paul vom Kreuz, hl. Petrus Nolaskus, hl. Raimund von Pennafort, der hl. Brigitta, der ersten Väter der Serviten u.a. zeigt, daß Päpste aufgrund von Privatoffenbarungen Ordensgesellschaften und Kongregationen gegründet haben. – Bemerkenswert ist auch, daß große Theologen, berühmte Prediger und katholische Schriftsteller von großem Ruf mit Vorliebe Privatoffenbarungen gelesen und verwendet haben. Der hl. Alphons beruft sich in seinen Herrlichkeiten Mariens oft auf die Offenbarungen der hl. Brigitta. Der vortreffliche Prediger, P. Heinrich Lacordaire, behauptete (1845), daß viele seiner schönen Gedanken, derentwegen seine Vorträge bewundert wurden, den Offenbarungen der hl. Brigitta entlehnt waren. Der berühmte Schriftsteller Martin von Cochem († 1712) hat in seinem Großen Leben Christi und seiner Mutter Maria besonders die Offenbarungen der hl. Mechthildis († 1299) und ihrer Mitschwester, der hl. Gertrud der Großen († 1334), und der hl. Brigitta benutzt.

3) Die Privatoffenbarungen unterscheiden sich wesentlich von der allgemeinen, an die ganze Menschheit ergangenen Offenbarung, insbesondere dadurch, daß bei ihnen Irrtümer unterlaufen.

Die allgemeine oder öffentliche Offenbarung, die an die ganze Menschheit ergangen ist, hatte den Zweck, die wahre Religion zu gründen. Die Privatoffenbarung bringt keine neuen Religionswahrheiten mehr, sondern bestätigt und erklärt nur die bereits geoffenbarten. – Die Empfänger und Vermittler der allgemeinen Offenbarung, wie z.B. die hl. Apostel, waren vom Heiligen Geist derart erleuchtet und geleitet, daß sie in Sachen des Seelenheiles nicht irren konnten. Die Empfänger der Privatoffenbarung sind gegen Irrtum nicht gesichert; sie können eine an sie ergangene Mitteilung unrichtig auffassen oder ungenau widergeben. Sie können zuweilen auch etwas für göttliche Erleuchtung ansehen, was ihrer Phantasie entsprungen ist. Manche meinen, daß auch Täuschungen durch teuflische Einflüsse unterlaufen können. Letzteres ist aber bei heilig lebenden Menschen nicht gut möglich; deshalb sagt Christus zur hl. Brigitta: »Wenn du nichts suchest außer Gott und von seiner Liebe ganz entflammt bist, ist es dem Teufel unmöglich, sich dir zu nahen. Wenn ich es zuließe, wäre ich einem Manne gleich, der seine treue Gattin einem Ehebrecher überliefert. Weil ich jedoch treu bin, wird der Teufel über eine Seele, die mir in Ergebenheit dient, niemals Gewalt bekommen« (Rev. 1, 4). Wie sehr sich Seherinnen irren können, zeigt folgendes: Katharina Emmerich sagt, von Adam bis Christi Geburt seien 3997 Jahre verflossen, während Maria von Agreda behauptet, der Sündenfall Adams sei 5999 Jahre vor Christi Geburt erfolgt. Katharina Emmerich sagt, die Mutter Gottes habe nach Christi Himmelfahrt noch 14 Jahre gelebt, während die hl. Brigitta 15 Jahre und Maria von Agreda 21 Jahre angibt. Nach Maria von Agreda starb die Mutter Gottes in Jerusalem, nach Katharina Emmerich am Nachtigallenberge bei Ephesus. »Mit dem Golde der göttlichen Erleuchtung vermischen sich also die Schlacken der menschlichen Gebrechlichkeit« (Dr. Niessen). Benedikt XIV. sagt, daß Gott aus weisen Gründen in Privatoffenbarungen Fehler zulasse, damit die Gläubigen die Privatoffenbarung nicht etwa mehr schätzen als die Hl. Schrift und das Lehramt der Kirche. Diese Mängel in den Privatoffenbarungen benutzen manche Kritiker, um den Wert der Privat-Offenbarungen überhaupt anzufechten. Doch niemandem wird es einfallen, einen ganzen Korb voll schöner Apfel wegzuwerfen, weil sich darin etwa zwei angefaulte befinden. Man beachte, daß auch manche Kirchenlehrer über eine und dieselbe Sache verschiedene Ansichten haben, und doch sind ihre Werke von der Kirche gutgeheißen.

4) Wenn man auch Privatoffenbarungen nicht blindlings Glauben schenken soll, so darf man sie doch nicht ohne Prüfung verwerfen.

»Wer schnell glaubt, ist leichtsinnig« (Sir. 19, 4). Das gilt insbesondere hinsichtlich der Privat-Offenbarung, zumal hiebei schon oft Betrug unterlaufen ist. Denn manche Personen haben teuflische Vorspiegelungen oder etwas, was ihrer Phantasie entsprungen ist, als Offenbarungen ausgegeben (Benedikt XIV.). So hat Mohammed Einbildungen seiner Phantasie für göttliche Offenbarungen gehalten. Auch können Weiber, die Heiligkeit heucheln und dadurch unter den Einfluß des bösen Geistes geraten, Visionen haben, die dämonischen Ursprungs sind. Kardinal Bona sagt, daß auch Täuschungen vorkommen bei Personen, die krank sind oder eine überaus lebhafte und unruhige Phantasie haben oder durch langes Hungern und Nachtwachen ihren Leib schwächten. Deswegen ermahnt der Apostel: »Geliebteste, glaubt nicht jedem Geiste, sondern prüfet die Geister, ob sie aus Gott sind« (1. Joh. 4, 1). Bezüglich der Privat-Offenbarung steht vor allem dem Bischof das Recht der Prüfung zu, dem Papst aber das Recht der Entscheidung (Urban VIII., 13. 3. 1625; 5. 7.1634). Wenn der Seher oder die Seherin irgendwelchen Lastern ergeben ist, z.B. dem Stolz, Zorn, kann man mit Sicherheit annehmen, daß deren Offenbarung nicht vom Heiligen Geiste herrühren (Benedikt XIV., De beatif. 52, 13). Derjenige handelt leichtsinnig, der Privatoffenbarungen ohne Prüfung verwirft. Denn es kommt tatsächlich vor, daß Gott zu manchen Menschen spricht in der Absicht, den Glauben und die Frömmigkeit des Volkes zu heben. Daher sprach Christus zur hl. Brigitta: »Ich bin der Herr, dein Gott, der zu dir redet (…). Wisse, daß ich nicht um deinetwillen allein zu dir rede, sondern um des Heiles aller Christgläubigen willen« (Rev. ext. 47). Zuweilen will Gott durch die Privatoffenbarung manche religiöse Wahrheit dem Verständnis näherbringen und die Gläubigen zur Annahme und Befolgung der christlichen Lehre geneigter machen. Durch Privatoffenbarung erfährt man auch, auf welche Weise man zu immer höherer Vollkommenheit, zur innigsten Vereinigung mit Gott gelangen kann. Wer also Privatoffenbarungen, diese Gnadengeschenke der unendlichen Güte Gottes zum Wohle der Kirche, blindlings bekämpft, vergeht sich gegen die Interessen der katholischen Kirche. Der Apostel ermahnt: »Weissagungen verachtet nicht! Alles prüfet! Was gut ist, behaltet!« (1 Thess. 5, 20 ff.). Leider wollen hochmütige Menschen nicht glauben, daß der allmächtige Gott mit manchen Menschen vertraulich verkehrt. Das Wirken Gottes ruft bei ihnen Widerspruch hervor. Es ist daher nicht zu verwundern, daß die hl. Hildegard, die hl. Katharina von Siena und die hl. Brigitta von ihren Zeitgenossen für Personen gehalten wurden, die vom Teufel betrogen seien, und wenn die hl. Theresia, Maria von Agreda für Schwärmerinnen angesehen wurden; daß ferner fast alle von Gott begnadigte Personen verfolgt wurden.

5) Privatoffenbarungen werden gewöhnlich vermittelt durch Visionen, Ansprachen und innere Erleuchtungen. In der Heiligen Schrift wird über hundertmal von Visionen (Gesichten) berichtet. Viele Visionen sind in der Apokalypse der hl. Evangelien Johannes niedergeschrieben, die dieser in der Verbannung auf der Insel Patmos gehabt hatte. Die Gabe der Vision ist eine außerordentliche Gabe des Heiligen Geistes. Der religionsfeindliche Zeitgeist sucht die Vision natürlich zu erklären, nämlich als die Folge krankhafter Zustände, als Hysterie, Suggestion, Halluzination u. dgl. Das ist aber eine willkürliche Behauptung, die sich nicht beweisen läßt. Es ist ganz unglaublich, daß z.B. Moses, der ein ganzes Volk so vortrefflich geleitet hat, eine krankhafte Anlage besessen hätte. Wer Einblick nimmt in die Bücher der Heiligen Schrift, wird bald einsehen, daß die Schreiber dieser Bücher, denen göttliche Offenbarungen (oft Visionen) zuteil geworden sind, einen sehr gesunden Verstand hatten, der sich mit krankhafter Anlage nicht vereinen läßt. Visionen kann man im wachen Zustand haben. Der fromme heidnische Hauptmann Cornelius zu Cäsarea hatte, während er nachmittags um 3 Uhr betete, die Erscheinung eines Engels, der ihn aufforderte, Boten zu senden nach Joppe zu einem gewissen Simon, einem Gerber, dessen Hause am Meer liegt, wo sich der Apostel Simon mit Zunamen Petrus aufhalte (Ap. 10, 1 ff.). Visionen können auch im Schlaf eintreten. Zu Moses sprach Gott, daß er zu den Propheten auch im Traum rede. (4 Mos. 12, 6). Derartige Visionen waren die Traumgesichte des ägyptischen Josef (1 Mos. 37) und des Pharao von den sieben Uhren und den sieben Kühen (1 Mos. 41). Auch der Nährvater Christi hatte während des Schlafes die Erscheinung eines Engels, der ihn zur Flucht nach Ägypten aufforderte (Matth. 1, 20), und dort wieder zur Rückkehr ins Heilige Land (Matth. 2, 19). Während der Ekstase (Verzückung) sind frommen Personen regelmäßig Visionen zuteil geworden, wie z.B. das Leben der Katharina Emmerich beweist, die in der Ekstase nach und nach das ganze Leben Christi sah. – Privatoffenbarungen werden auch durch Ansprachen vermittelt, wie z.B. die Worte Gottes zum Knaben Samuel zeigen (1. Kön. 3, 1 ff.) und die Lebensgeschichte der hl. Jungfrau von Orleans. In allen derartigen Fällen wird die Einwirkung auf den Menschen vermittelt durch die leiblichen Sinne, Gesicht und Gehör. Es gibt aber auch rein geistige Offenbarungen durch innere Erleuchtung. Gott wirkt direkt auf die Seele ein, wie er auf sie nach ihrer Trennung vom Leibe einwirken wird. Dieser Verkehr Gottes mit der Seele entspricht dem Verkehr, den die Geister im Jenseits untereinander haben. Dem hl. Paulus wurde auf diese Art das Evangelium gelehrt (siehe Gal. 1, 16). Rein geistige Offenbarungen hatte die hl. Hildegard († 1179).

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