Franz Spirago: Katholischer Volks-Katechismus

7) Beweggründe des Glaubens: Wunder und Weissagungen

1) Die Gründe, die uns zum Glauben bewegen, sind namentlich die Wunder und die Weissagungen; denn durch diese erlangen wir die Gewißheit, daß die Lehren des christlichen Glaubens wirklich von Gott geoffenbart sind.

Der eigentliche Beweggrund des Glaubens ist die Wahrhaftigkeit Gottes; denn wir schenken den uns von Gott kundgemachten Wahrheiten deswegen Glauben, weil wir wissen, daß Gott wahrhaftig ist und weder irren noch lügen kann. Doch muß man zuvor ganz sicher wissen, daß diese oder jene Wahrheit wirklich von Gott geoffenbart ist. Deshalb sind jene Taten, wodurch Gott bestätigt, daß er wirklich gesprochen hat, für uns Menschen ein äußerst wichtiger und notwendiger Beweggrund des Glaubens. In hohem Maße aus dem Grunde, daß die Apostel so viele Wunder Christi mit ihren Augen geschaut und so viele Weissagungen Christi und der Propheten vor ihren Augen haben in Erfüllung gehen sehen, glaubten sie ohne Bedenken beim letzten Abendmahl den Worten Christi: »Das ist mein Leib« »Das ist mein Blut.« Das Sprachwunder am Pfingstfest bewog 3.000 Leute zur Annahme des christlichen Glaubens; das Wunder am Tempeltor wieder weitere 5.000; die vielen Wunder der Apostel, durch die Gott ihr Wort bekräftigte (Mark. 16, 20), bewog die Heiden zur Annahme der christlichen Religion. Zweifellos sind auch viele zum Glauben bewogen oder im Glauben gekräftigt worden, als sie im Jahre 70 die Weissagung Christi von der Zerstörung Jerusalems haben in Erfüllung gehen sehen; oder im Jahre 361, als man durch die wunderbare Vereitelung des Tempelbaues zu Jerusalem wieder die Wahrheit einer anderen Weissagung erkannte. – Es gibt noch andere Gründe, die uns zum Glauben bewegen, wie z.B. die Standhaftigkeit und die große Zahl der Märtyrer, die wunderbare Ausbreitung und der feste Bestand der christlichen Religion, die vier Merkmale der Kirche. »Schon die Kirche an und für sich ist ein großer und beständiger Beweggrund des Glaubens« (Erstes Vatikanisches Konzil 3, 3), besonders wenn man ihre Unzerstörbarkeit und ihr Aufblühen bei allen Verfolgungen berücksichtigt. Nicht alle Menschen werden auf dieselbe Weise zur Annahme des Glaubens bewogen; den einen bewegt mehr die Standhaftigkeit der Märtyrer, den anderen die Strafe, die einen Kirchenverfolger trifft (hl. Augustinus).

Die meisten Wunder geschahen zu Beginn des Christentums, weil sie damals zur Ausbreitung des Glaubens notwendig waren.

Der liebe Gott gleicht einem Gärtner, der die Pflanzen begießt, solange sie klein sind; solange die Kirche klein war, begoß sie Gott durch Wunder (hl. Gregor der Große). Wollte man die Wunder leugnen, die die hl. Apostel gewirkt haben, so wäre das das größte Wunder, daß ihnen die Welt ohne Wunder geglaubt hätte (hl. Augustinus).

2) Wunder ist ein außergewöhnliches Werk, das nicht mit Hilfe der Naturkräfte, sondern nur durch Gottes Allmacht hervorgebracht werden kann.

Außergewöhnlich ist das, was uns mit Verwunderung erfüllt, weil wir es noch nicht gesehen, noch nicht gehört haben, und es uns vielleicht auch nicht erklären können. Wer in seinem Leben noch keine Eisenbahn, kein Dampfschiff gesehen hat, der staunt, wenn er diese Dinge zu Gesicht bekommt. Außergewöhnlich sind viele Naturerscheinungen wie Polarlicht, Luftspiegelungen, Sonnen-und Mondfinsternisse, Kometen, Meteore, sogar der Regenbogen. Doch sind derartige außergewöhnliche Werke keine Wunder, obzwar wir bei ihrem Anblick in den Ausruf: »Wunderbar!« ausbrechen. Derartige Werke werden auf natürlichem Wege mittels der Naturkräfte hervorgebracht und lassen sich auf natürliche Weise erklären. Nur solche außergewöhnlichen Werke sind Wunder, die mittels der Naturkräfte überhaupt nicht hervorgebracht werden können. Z.B. die Auferweckung eines Toten ist ein Wunder; denn hierbei geschieht einerseits etwas ganz anderes, als was sonst gewöhnlich geschieht (also etwas außergewöhnliches), anderseits sind alle Gelehrten und Künstler der Welt nicht imstande, mittels der Naturkräfte einen Toten wieder lebendig zu machen. Hier muß also Gottes Allmacht eingegriffen haben. Die Wunder sind Ausnahmen (außergewöhnliche Erscheinungen) im gewöhnlichen Gang der Natur; sie scheinen gegen die Naturgesetze zu verstoßen. In der Tat aber ist es nicht so. Die Naturgesetze wirken zwar, werden aber durch eine dazwischentretende Kraft in ihrer Wirksamkeit gehindert. Wenn ein Buch zur Erde fällt und meine Hand es aufhält, so wird dadurch das Naturgesetz nicht aufgehoben. Etwas ähnliches geschieht bei den Wundern, nur sieht man hier die dazwischentretende Kraft nicht.

Die Wunder sind entweder groß oder einfach; außerdem gibt es Scheinwunder, die aber keine wirklichen Wunder sind.

Große Wunder sind solche außergewöhnliche Werke, die durch Naturkräfte überhaupt nicht hervorgebracht werden können, z.B. die Totenerweckungen, die dauernde Unversehrtheit und Biegsamkeit eines Leichnams. Einfache Wunder sind solche außergewöhnliche Werke, welche zwar durch die Naturkräfte hervorgebracht werden können, aber nur auf eine weit schwierigere Weise: ein einfaches Wunder ist z.B. die Heilung eines Kranken durch ein einfaches Wort, die plötzliche Kenntnis einer fremden Sprache. – Scheinwunder sind solche außergewöhnliche Werke, die der böse Geist auf eine so geschickte Weise mittels der Naturkräfte hervorbringt, daß dadurch unsere Sinne getäuscht werden. (Wir meinen, daß etwas da ist, was in Wirklichkeit nicht da ist.) Die Scheinwunder gleichen den Künsten der Taschenspieler (Verschlingen von Schwertern, Ausspeien von Geldstücken u. dgl.), nur daß die bösen Engel die Taschenspieler bei weitem an Einsicht und Geschicklichkeit übertreffen. Solche Wunder verrichteten mit Hilfe des bösen Geistes schon die Zauberer Ägyptens, die die Wunder des Moses nachzuahmen suchten (2 Mos. 7, 11), ferner Simon der Zauberer (Apg. 8, 9); auch der Antichrist (2 Thess. 2, 8) wird mittels der Naturkräfte Scheinwunder wirken (hl. Thomas von Aquin). Ebenso ließe sich das Verschwinden heidnischer Opfer oder die Verwandlung der Iphigenie in eine Hirschkuh u. dgl. erklären (Benedikt XIV.).

Wunder läßt Gott nur geschehen zu seiner Verherrlichung und zur Bekräftigung der Wahrheit.

Wenn Gott durch ein Wunder, also in außergewöhnlicher Weise, in den gewöhnlichen Lauf der Natur eingreift, so muß ein ganz besonderer Zweck vorliegen. Gott will die Menschen auf etwas Wichtiges aufmerksam machen. Er will entweder zeigen, daß er, der Herr der Schöpfung, wirklich existiert und Macht hat (er will also den Glauben heben), oder er will etwas billigen oder bestätigen. Allen Urkunden (z.B. den Schulzeugnissen) wird von der ausstellenden Behörde das amtliche Siegel aufgedrückt; durch dieses wird bestätigt, daß die Urkunde von der betreffenden Behörde wirklich ausgestellt worden ist. So hat auch Gott ein Siegel, womit er beglaubigt, daß etwas von ihm stammt. Dieses Siegel sind seine Wunder. Dieses Siegel hat sogar vor anderen den Vorzug, daß es von niemandem nachgemacht werden kann (Abel).

Insbesondere läßt Gott Wunder geschehen: um seine Güte und Gerechtigkeit zu zeigen; um zu beweisen, daß jemand ein Abgesandter Gottes ist und daß seine Worte wahr sind; um die Heiligkeit eines verstorbenen Menschen zu bestätigen. Nie aber läßt Gott wahre Wunder zur Bekräftigung der Unwahrheit geschehen.

Durch Wunder zeigt Gott manchmal seine Güte und Gerechtigkeit, so bei der Rettung der drei Jünglinge im Feuerofen und bei den ägyptischen Plagen. Gott bestätigt auch durch Wunder die göttliche Sendung und die Wahrheit der Worte eines Gottgesandten. Als Gott den Moses zu Pharao und den Israeliten sandte, gab er ihm die Gewalt, gewisse Wunder zu wirken. Wunder wirkten die Propheten, Christus und die Apostel. Christus beruft sich oft auf seine Wunder, um seine göttliche Sendung zu beweisen (Matth. 11, 4–5; Joh. 5, 36; Joh. 10, 37). Ein Mitglied des französischen Direktoriums, namens Lepaux, hatte nach vielem Kopfzerbrechen eine neue Religion, die der Philantropie, ersonnen, konnte aber niemanden dafür gewinnen. Da kam er zum Staatsmann Talleyrand und klagte sein Mißgeschick. Dieser antwortete treffend: »Mich überrascht es nicht, daß Sie nichts ausrichten. Wollen Sie Erfolge erzielen, dann gehen Sie hin und tun Sie Wunder; heilen Sie Kranke, wecken Sie Tote auf, und dann lassen Sie sich kreuzigen und begraben und stehen Sie am dritten Tage wieder auf!« Betroffen ging der Philosoph von dannen (Spirago, Beispiele, Nr. 84). Ja, durch Wunder müssen sich die Abgesandten Gottes beglaubigen! Auch die wahre Kirche beglaubigt Gott durch Wunder. – Durch Wunder bestätigt Gott die Heiligkeit verstorbener Menschen. Es geschehen daher Wunder an den Gräbern der Heiligen (z.B. am Grab des Elisäus, 4 Kön. 13), an den Leibern der Heiligen (man denke z.B. an deren Unversehrtheit) und durch Anrufung der Heiligen. Wenn die Kirche jemanden seligsprechen soll, fordert sie immer mindestens zwei bis drei Wunder, die nach dem Tod des Betreffenden auf seine Fürbitte geschehen sind; bei der Heiligsprechung fordert sie wieder zwei bis drei neue Wunder (CIC, cann. 2117, 2138). Nie aber läßt Gott wahre Wunder zur Bekräftigung der Unwahrheit geschehen. Denn diese sind immer der Beweis des göttlichen Wirkens und der Wahrheit; würde der Teufel die Macht haben, solche zu wirken, so würde Gott die Bestätigung des Irrtums gestatten, was sich aber von seiner Güte nicht denken läßt (hl. Thomas von Aquin). Allerdings läßt Gott zu, daß böse Geister oder böse Menschen Scheinwunder verrichten. Diese sind aber eine Folge der Gerechtigkeit Gottes und dienen zur Bestrafung des Unglaubens (Suarez). Den Gerechten verleiht aber Gott seine Gnade, damit sie diesen Betrug erkennen. Teuflischen Ursprungs (daher Scheinwunder) sind solche Wunder, die weder der Seele noch dem Leib Nutzen bringen, die nicht zur Befestigung des Glaubens und der guten Sitten geschehen oder unter unsinnigen Zeremonien gewirkt werden (hl. Thomas von Aquin). Weil jedes Wunder die Verherrlichung Gottes und das Seelenheil der Menschen zum Zweck hat, so wirkt Gott nie Wunder zur Befriedigung der Neugierde oder um Staunen hervorzurufen. Das sieht man schon aus dem Verhalten Christi vor Herodes, der gern ein Wunder gesehen hätte.

Gott bedient sich bei Verrichtung eines Wunders gewöhnlich eines Geschöpfes, manchmal auch eines unwürdigen.

Nur Gott kann Wunder wirken: »Er allein tut große Wunder« (Ps. 135, 4). »Die Geschöpfe können nur dann Wunder wirken, wenn ihnen Gott die Kraft gibt« (hl. Thomas von Aquin). Die Heiligen wirkten daher Wunder immer in der Kraft (im Namen) Gottes, nur Christus wirkte in seinem Namen. Doch ist der Umstand, daß jemand Wunder wirkt, noch kein Beweis, daß er heilig ist. Christus wies darauf hin, daß unter den Verworfenen manche sein werden, die in seinem Namen Wunder gewirkt hatten (Matth. 7, 22). – Auch der Teufel kann wahre Wunder wirken, wenn sich Gott seiner bedient, um Bösewichte zu bestrafen (hl. Augustinus), wie es bei den ägyptischen Plagen der Fall war. – Doch soll man nicht gleich zu Wundern und zur Allmacht die Zuflucht nehmen, wo es möglich ist, eine Sache natürlich zu erklären (hl. Augustinus).

Die Freidenker wollen keine Wunder zugeben; sie erklären diese für Schwindel oder für die Folge von Suggestion.

Die Freidenker brüsten sich, daß ihre Forschung voraussetzungslos, also unparteiisch sei. In Wirklichkeit aber gehen sie doch von der Voraussetzung aus, daß es keinen Gott und keine Wunder gibt; sie urteilen daher voreingenommen. (Dieses Verhalten ist eine Sünde gegen den Heiligen Geist.) In ihrer Verlegenheit suchen sie nach Ausflüchten; sie behaupten daher, die Wunder seien Schwindel und Betrug durch die Diener der Religion. Aber warum decken die Freidenker nie den vermeintlichen Schwindel auf, warum weichen sie der Prüfung und Untersuchung der Wunder aus? Ihre weitere Behauptung, die Wunder seien eine Folge der Suggestion und Einbildung (die Heilkraft käme also aus dem Inneren des Menschen) läßt sich nicht aufrechterhalten. Denn bei kleinen Kindern, die geheilt wurden, gab es weder Willen noch Einbildung. (Z.B. wurde am 28. Februar 1858 das zweijährige Kind Justin Bonhorts im sterbenden Zustand von seiner Mutter in die neu entsprungene Quelle zu Lourdes eingetaucht, worauf das Kind augenblicklich gesund war.) Es gibt Krankheiten, wie Lungenschwindsucht, Knochenbruch, die durch keine Phantasie (Einbildung) behoben werden können und doch an Wallfahrtsorten plötzlich geheilt wurden. (Siehe in Spirago, Beispiel-Sammlung, 6. Auflage, S. 726 über die plötzliche Heilung des an zwei Stellen gebrochenen Beines des Peter Rudder am 7. April 1875 am Wallfahrtsort Oostakker in Belgien, und Seite 720 über die Heilung der zerstörten Wade der Joachime Dehant am 13. September 1878 zu Lourdes.) Man bedenke, daß durch angebliche Suggestion keine plötzlichen Heilungen erfolgen können, sondern nur nach längerer Bemühung, also langsam. Die Heilungen auf Fürbitte der Heiligen geschehen aber in der Regel plötzlich. – Die Freidenker scheinen aber doch ihrer Sache nicht sicher zu sein. Denn der holländische Jude und Philosoph Spinoza († 1677) erklärte, sein ganzes philosophisches System würde in Stücke zerschlagen werden, wenn er sich von der Auferstehung des Lazarus überzeugen könnte. Und Renan († 1892) sagte: »Wenn Wunder wirklich existieren, dann ist mein Buch ein Gewebe von Irrtümern.«

3) Weissagung ist eine bestimmte Vorhersagung solcher zukünftiger Dinge, die kein Geschöpf, sondern nur Gott wissen kann.

Eine Weissagung muß klar und bestimmt sein, so daß nicht verschiedenerlei Auslegungen möglich sind. Sie unterscheidet sich daher von den Prophezeiungen der heidnischen Orakel, die meistens unbestimmt, also zweideutig waren. Z.B. dem Krösus wurde vom Orakel prophezeit: »Wenn Krösus den Fluß Halys überschreitet, so wird er ein großes Reich zerstören.« Hier war nicht gesagt, ob er sein eigenes (was wirklich geschah) oder ein fremdes Reich zerstören werde. Keine Weissagungen sind: Voraussagungen des Wetters durch Naturkundige, die Voraussagung der Sonnen- und Mondfinsternisse durch Astronomen, die Voraussagung der Genesung oder des nahen Todes durch den Arzt, die Voraussagung eines Krieges durch Staatsmänner u. dgl.; denn hier werden Dinge vorausgesagt, auf die man aus vorhandenen Ursachen schließen kann. Wohl ist aber eine Weissagung vorhanden, wenn zukünftige Dinge vorausgesagt werden, die nur von der Freiheit des Menschen abhängen; denn solche Dinge kann nur Gott wissen. Eine derartige Weissagung war z.B. die Vorhersagung des Falles Petri, eines Apostels, von dem man gerade das Gegenteil hätte erwarten können (Mark. 14, 31). Die Weissagungen könnte man auch Wunder der Allwissenheit nennen im Gegensatze zu den Wundern der Allmacht. Wir können sie mit Recht Wunder nennen, weil sie ebenfalls Dinge sind, die nur Gott zum Urheber haben können. Denn solche zukünftige Ereignisse, die vom freien Willen des Menschen abhängen, weiß niemand außer Gott (Is. 41, 23; 46,10), der »das Herz erforscht und die Nieren prüft« (Jer. 17, 10). Weissagungen entstehen durch Wirkung des Heiligen Geistes. Der hl. Petrus sagt: »Noch nie wurde eine Weissagung durch menschlichen Willen hervorgebracht, sondern heilige Menschen Gottes haben, getrieben vom Hl. Geiste, geredet« (2 Petr. 1, 21). Euripides hat also nicht recht, wenn er sagt: »Wer gut raten kann, der ist der beste Wahrsager«; denn ein solcher ist nur ein gescheiter Mann und nichts weiter.

Gott läßt Zukünftiges gewöhnlich nur durch seine Abgesandten verkünden.

Der Mensch, der ein Ebenbild Gottes ist, erhält von Gott zuweilen auch Anteil an seiner Allwissenheit. Daher offenbart Gott manchen Menschen die Zukunft. In der Regel aber teilt Gott Zukünftiges nur seinen Abgesandten mit, um sie als solche zu beglaubigen. Solche Abgesandte Gottes waren z.B. Noe und die Propheten. Die Propheten wurden zum Weissagen sogar oft innerlich angetrieben (1 Kön. 10, 10). Auch manche Heilige haben zukünftige Dinge von Gott erfahren und vorausgesagt, um ihren Ermahnungen oder Warnungen Nachdruck zu geben. Nur ausnahmsweise teilt Gott Zukünftiges lasterhaften oder ungläubigen Menschen mit und gebraucht diese als Werkzeuge zum Wohle anderer. Dem König Baltassar kündigte Gott den Untergang an durch die Erscheinung der schreibenden Hand an der Wand (Dan. 5). Dem König und dem heidnischen Volk der Moabiter ließ Gott durch Balaam die Ankunft des Erlösers verkünden; die Weissagung lautet: »Ein Stern geht auf aus Jakob…« (4 Mos. 24). Bei den heidnischen Griechen und Römern gab es Sibyllen (Weissagerinnen), die auch den Retter der Welt, den Erlöser ankündigten. (Über Sibyllen siehe ausführlich in Spirago, Beispiel-Sammlung, 6. Auflage, S. 40.) In der Regel aber gebraucht Gott nur auserwählte Seelen als Verkündiger von Weissagungen (Benedikt XIV.). Die Weissagungen sind daher in der Regel ein Beweis, daß jemand ein Abgesandter Gottes ist.

Gott teilt den Propheten die Zukunft auf verschiedene Weise mit, z.B. durch innere Erleuchtung oder durch Visionen (Gesichte) oder durch Engel.

Vom Heiligen Geist innerlich erleuchtet weissagte der greise Simeon im Tempel, daß das Jesuskind ein Licht zur Erleuchtung der Heiden sein werde, und daß die Seele Mariens ein Schwert durchdringen werde (Luk. 2, 27 ff.). Vom Heiligen Geist erleuchtet weissagte die Mutter Gottes im Magnificat, daß sie von allen Geschlechtern der Erde werde selig gepriesen werden (Luk. 1, 16 ff.). Eine Vision war die schreibende Hand an der Wand vor König Baltassar (Dan. 5): In Visionen (Gesichten) erfuhr der Prophet Ezechiel die Zukunft; die Gesichte bestanden in verschiedenen Bildern (Ez. 1, 1; 8, 3; 37, 1; 40, 2). Auch im Traum redete Gott zu den Propheten (4. Mos. 12, 6). Solche Träume kommen vor dem Erwachen und sind wie Wirklichkeit, weshalb sie sich auch dem Geist des Menschen tief einprägen. Der ägyptische Josef erhielt durch Träume Offenbarungen über die Zukunft; man denke an jenen Traum, wo Sonne, Mond und elf Sterne sich vor ihm zur Erde neigten (1 Mos. 37). Man beachte auch den Traum des Königs Pharao von den sieben fetten und sieben mageren Kühen, den sieben vollen und sieben dürren Ähren (1 Mos. 41), sowie die Träume des königlichen Mundbäckers (1 Mos. 40), welche Träume Josef sämtlich auslegte. Auch durch Engel erfahren die Gottgesandten die Zukunft. So verkündete der Erzengel Gabriel dem Daniel in der babylonischen Gefangenschaft in der Weissagung von den 70 Wochen das Jahr der Ankunft des Erlösers (Dan. 9). Doch wird dem Menschen Zukünftiges immer nur von Fall zu Fall mitgeteilt; niemand erhält die dauernde Fähigkeit, Zukünftiges voraus zu wissen. Diese Fähigkeit hatte nur der Gottmensch. Daher kann auch der erleuchtetste Prophet nicht auf alle Fragen antworten (4 Kön. 4, 27). Samuel erkannte den zukünftigen König nicht früher, als bis ihm David zugeführt wurde (Kön. 16, 12). Siehe über diesen Gegenstand auch bei der Privatoffenbarung Nr. 5.

Die Weissagungen haben gewöhnlich den Zweck, den wahren Glauben zu heben oder die Menschen zu bessern.

Die Weissagung hat stets einen heiligen Zweck, nämlich die Beförderung der Ehre Gottes (d.h. die Verherrlichung Gottes) oder die Beförderung des Seelenheils der Menschen, also die Hebung des Glaubens oder des tugendhaften Lebens der Menschen. Daß die Weissagung namentlich die Hebung des Glaubens zum Zweck hat, folgt aus Christi Worten zu den Aposteln: »Nun habe ich es auch gesagt, ehedenn es geschieht, damit ihr glaubet, wann es geschehen sein wird« (Joh. 14, 29). Daher ließ Gott im Alten Testament durch die Propheten über den zukünftigen Erlöser weissagen; diese Weissagungen sollten dann, nachdem sie an Christus in Erfüllung gegangen waren, die Menschen von der Gottheit Christi und von der Wahrheit der christlichen Religion überzeugen. Die Weissagung Christi vom Fall des Petrus und von seiner Todesart sollte später diesen Apostel im Glauben an die Gottheit Christi bestärken. – Zuweilen sollen die Weissagungen die Menschen bessern; zu diesem Zweck ließ Gott durch Noe die Sintflut ankündigen. Mitunter hat die Weissagung den Zweck, die Gerechten vor Unglück zu bewahren. Als Jesus die Anzeichen, die der Zerstörung Jerusalems vorausgehen werden, ankündigte, sprach er: »Dann fliehe, wer in Juda ist, auf die Berge« (Matth. 24, 16). Daher flüchteten die Christen im Jahre 70 n.Chr. aus Jerusalem mit ihrem Bischof Simeon nach Pella jenseits des Jordan und blieben vom Elend verschont. Zuweilen will der gütige Gott durch eine Weissagung jemanden auf einen herben Schicksalsschlag vorbereiten. Deshalb hat Christus die Vorzeichen, die dem Weltende vorausgehen werden, geoffenbart. »Schläge, die vorausgesehen werden, verwunden weniger« (hl. Gregor der Große). Man beachte den Traum der Kalpurnia, der Gemahlin Cäsars. (Siehe Spirago, Beispiel-Sammlung, 6. Auflage, Nr. 99.) Doch nie hat die Weissagung den Zweck, der Neugierde, Habsucht oder Ruhmsucht zu dienen. Auch darf sie weder der geoffenbarten Lehre (5 Mos. 13, 2) noch der Heiligkeit Gottes widersprechen; sie muß erbaulich, nützlich und heilsam sein (1 Kor. 14, 3) und muß mit Ruhe und Bescheidenheit gegeben worden sein; nur den falschen Propheten ist es eigen, aufzubrausen und sich wie ein Rasender zu gebärden (hl. Chrysostomus).

Sie wollen das nächste Kapitel nicht verpassen? Tragen Sie sich jetzt für den Rundbrief ein und bleiben Sie immer auf dem Laufenden!

Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich.

Sie können den Newsletter jederzeit über den Link in unserem Newsletter abbestellen.

Wir verwenden den Dienstleister Brevo zum Versand des Rundbriefs. Ausführliche Informationen zur Datenverarbeitung finden Sie bei Brevo und in unserer Datenschutzerklärung.